Die Zeitwaisen

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Berlin–Dingle–Avranches 2017 – Fishguard–Rosslare–Duncannon, Montag 12. Juni

in: Berlin–Dingle–Avranches 2017
Fishguard–Rosslare–Duncannon, Montag 12. Juni
Reisen, Radreisen
Radix | Berlin–Dingle–Avranches 2017

-16:34-

Einfahrt in Rosslare Harbour - Ireland.

Die Ankunft vor Irland lockt uns erneut an Deck. Das Wetter könnte deprimierend wirken, wären wir leicht zu deprimieren. Über uns und in der Ferne eine dichte Wolkendecke. Zumindest kein Regen und die Lufttemperatur liegt in angenehmem Bereich, jedenfalls wesentlich angenehmer als an Deck der Fähre zu Beginn der Fahrt. Hallo Irland, habe Dich das letzte mal vor 9 Jahren gesehen, damals zu Fuß und mit Rucksack. Von Colloony aus wanderten wir nach Westen und die Küste nach Süden entlang, ein paar Landzipfel schneidend, bis nach Dingle; auch dieses Mal das Ziel. Die Fahrräder haben die Überfahrt gut überstanden und das Verlassen der Fähre klappt unkompliziert, die beiden vorne weg, ich hinterher. Raus aus dem Hafen, stellt sich uns zur Begrüßung gleich eine straffe Steigung entgegen. Anne radelt voller Kraft drauf los, während ihrer Tochter zurück bleibt. Ihr Anhänger ist beim Aufsteigen wieder zur Seite gekippt, das Rad mehr oder weniger mit sich reißend. Helfe ihr das schwere, sperrige Teil wieder aufzurichten, boah, was für ein Gewicht. Danke Dir sehr! Wir fahren weiter und sie kämpft sich tapfer Meter für Meter die Schräge hinauf. Oben angekommen, harren wir kurz der Dinge und einer fragt den anderen, wie denn die Tour jetzt weiter geplant sei. Anne und ihre Tochter würden vielleicht noch einen Kaffee trinken gehen, etwas lesen, und dann mal schauen wie das Wetter werde, wahrscheinlich für die Nacht in Rosslare bleiben, und ab morgen immer der Nase nach Richtung Norden, wo genau lang wüssten sie noch nicht. Übernachten würden sie in erster Linie im Zelt, auf freiem Feld oder beim Bauern. B&B und Hotels eher weniger, auch wegen der Kosten. Bin fasziniert von ihrer lässigen Planlosigkeit und unterlasse den schlaumeiernden Hinweis, dass sie hier nicht an jeder Ecke ein Kaffee finden würden – schon gar nicht um diese Tageszeit –, geschweige denn ein Möglichkeit zum frei Zelten. Auch bezüglich des kippeligen Anhängers und der hügeligen Landschaft scheint ihre Tour nicht unter dem besten Stern zu stehen. Wünsche ihnen statt dessen gutes Wetter, eine wundervolle Tour und dass alles so klappen würde wie sie sich das vorstellen. Doch da scheinen sie sowieso ganz unbekümmert und zuversichtlich, Anne auf jeden Fall. Kurz die Überlegung, ebenfalls in Rosslare zu übernachten – die Fähre hatte 40 Minuten Verspätung –, oder wie geplant zum ersten Tagesziel in Irland aufzubrechen. Risiko Wetter, Gelände und Uhrzeit. Kurz vor 17:00 Uhr. Doch die nur 51 Kilometer nach Duncannon werden wohl noch locker zu schaffen sein. Übersetze den Entscheidungsfindungsprozess mit der etwas übertrieben Bemerkung „Luxus oder Abenteuer?“, trifft aber die momentane Stimmung. Lust zum Weiterfahren ist vorhanden und der potentiell verlorene Tag in Dingle wiegt schwerer, so fällt die Klappe für das Abenteuer. Wir tauschen E-Mail Adressen aus und Anne lädt mich nach Toulouse in ihr Haus ein, sollte ich mal in der Nähe durch die Gegend radeln. Das wäre groß genug und hätte drumherum eine wunderbare Landschaft zum Wandern. Nicke erfreut, das höre sich sehr gut an, käme gerne mal vorbei, würde ihr für die Einladung danken. Die Idee Toulouse in die Sommerradtour 2018 einzuplanen kommt sofort. Tatsächlich war ich schon mal in Toulouse, 2007 zwischen Weihnachten und Silvester, mit Flieger und Mietwagen, und unter ganz anderen Umständen. Wäre damals beinahe selbst in die Umgebung von Toulouse gezogen, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Mache mich am Navi zu schaffen, setze die Sonnenbrille auf und wir verabschieden uns. Plötzlich erkundigt sich die Tochter nach dem Apparat und der Kabellage am Lenker, ob das ein Tacho sei - ich erkläre kurz die Zusammenhänge, GPS, Stromversorgung, etc.. Finde sie toll, so etwas bräuchten sie auch und die Sonnenbrille finde sie ebenfalls sehr cool. Ja, danke, grins, sei in erster Linie Wind- und Insektenschutz, meine Augen zögen Festkörper in der Luft geradezu magisch an. Schwinge mich auf den Sattel und brause etwas wehmütig aber gut gelaunt von dannen.

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